April 13, 2024

Pflegegrad beantragen

Wie funktioniert der gesamte Prozess der Beantragung eines Pflegegrades?


Autor:
IHM Experten-Team
Intensivpflege-Team bei IHM

Das Wichtigste in Kürze

  • Pflegebedürftigkeit: Monatlich beanspruchen rund 5 Millionen Menschen Pflegeleistungen, wobei die meisten ambulante Dienste nutzen.
  • Definition der Pflegebedürftigkeit: Gesetzlich als pflegebedürftig gelten Personen, die dauerhaft, für mindestens sechs Monate, aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen Hilfe benötigen.
  • Antragstellung: Anträge auf Pflegeleistungen sind bei der zuständigen Pflegekasse einzureichen; eine telefonische Beantragung ist ebenfalls möglich.
  • Begutachtungsverfahren: Die Einstufung in einen Pflegegrad erfolgt durch den Medizinischen Dienst oder bei privat Versicherten durch Medicproof.
  • Fristen: Die Entscheidung über den Antrag erfolgt innerhalb von 25 Arbeitstagen. Bei Überschreitung dieser Frist zahlt die Pflegekasse eine Entschädigung.
  • Voraussetzungen für Leistungsansprüche: Für den Bezug von Pflegeleistungen ist eine Mindestversicherungszeit von zwei Jahren innerhalb der letzten zehn Jahre erforderlich.
  • Leistungsbescheid: Versicherte erhalten automatisch ein Gutachten und bei Bedarf Empfehlungen für Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen.
  • Bewertung der Pflegebedürftigkeit: Die Pflegekasse setzt unabhängige Gutachter für die Bewertung ein. Ein Termin wird vorab vereinbart; eine telefonische Bewertung ist unter bestimmten Bedingungen möglich.
  • Pflegegrade: Fünf Pflegegrade klassifizieren das Maß der Beeinträchtigung und den Bedarf an pflegerischer Unterstützung.
  • Dienstleistungsorientierung: Seit Juli 2013 verbindliche Richtlinien gewährleisten Transparenz und Serviceorientierung im Begutachtungsprozess

Pflegebedürftigkeit

Jeden Monat nutzen rund 5 Millionen Menschen die Leistungen der Pflegeversicherung. Die Mehrheit, ca. 4,1 Millionen Personen, erhalten ambulante Leistungen, während etwa 0,9 Millionen Menschen stationär gepflegt werden (Stand: 30. Juni 2022, Quelle: Geschäftsstatistik der Pflegekassen und der privaten Pflege-Pflichtversicherung).

Pflegebedürftigkeit kann in jedem Lebensalter auftreten. Gesetzlich sind Personen als pflegebedürftig definiert, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeiten auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Die Pflegebedürftigkeit muss dabei dauerhaft, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, mit einer spezifizierten Schwere bestehen, wie sie in § 15 SGB XI beschrieben ist.

Beantragung

Um Leistungen aus der Pflegeversicherung zu erhalten, muss bei der zuständigen Pflegekasse, die bei der Krankenversicherung angesiedelt ist, ein Antrag gestellt werden - dies ist auch telefonisch möglich. Die Antragstellung kann ebenfalls von Familienangehörigen, Nachbarn oder Bekannten erfolgen, sofern sie bevollmächtigt sind. Nach Antragseingang bei der Pflegekasse wird eine Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit durch den Medizinischen Dienst oder andere unabhängige Gutachter initiiert.

Für privat Versicherte gilt der Antrag beim privaten Versicherungsunternehmen. Die Begutachtung übernimmt Medicproof, der medizinische Dienst der privaten Pflege-Pflichtversicherung.

Das Begutachtungsverfahren folgt den bundesweit gültigen Richtlinien des Medizinischen Dienstes Bund zur Bewertung der Pflegebedürftigkeit. Diese Richtlinien umfassen allgemeine Verhaltensgrundsätze für die Gutachter, Informationen über das Begutachtungsinstrument und Regelungen für Versichertenbefragungen sowie das Beschwerdemanagement.

Entscheidungsfristen

Für die Prüfung des Antrags auf Pflegebedürftigkeit gilt eine gesetzliche Bearbeitungszeit von 25 Arbeitstagen. In bestimmten Situationen, wie einem Krankenhausaufenthalt oder der Inanspruchnahme von pflegebedingten Freistellungen, kann die Begutachtung bereits nach einer Woche gefordert werden.

Bei Überschreitung der Fristen muss die Pflegekasse ab dem Fristablauf pro begonnene Woche der Verzögerung 70 Euro an den Antragsteller zahlen, es sei denn, die Verspätung liegt nicht in der Verantwortung der Pflegekasse oder der Antragsteller erhält bereits vollstationäre Pflege ab Pflegegrad 2.

Voraussetzungen für den Leistungsanspruch

Für den Bezug von Pflegeleistungen muss der Versicherte mindestens zwei Jahre innerhalb der letzten zehn Jahre in die Pflegekasse eingezahlt haben oder familienversichert gewesen sein.

Zusätzliche Informationen zum Leistungsbescheid

Der Leistungsbescheid über die Pflegebedürftigkeit soll für Versicherte nachvollziehbar sein. Deshalb erhalten sie automatisch das Gutachten von der Pflegekasse, es sei denn, sie wünschen dies nicht. Zusätzlich werden Empfehlungen für Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen mitgeteilt, die zur Initiierung von Rehabilitationsleistungen führen können, sofern die Versicherten zustimmen.

Bewertung der Pflegebedürftigkeit bei Erwachsenen

Um den Pflegebedarf und den entsprechenden Pflegegrad bei Erwachsenen festzustellen, erstellen die Pflegekasse durch den Medizinischen Dienst, andere unabhängige Prüfer oder für Versicherte der Knappschaft durch den Sozialmedizinischen Dienst (SMD) ein Gutachten. Bei privat Versicherten übernimmt diese Aufgabe Medicproof. Der Besuch des Gutachters erfolgt immer nach einer vorherigen Terminabsprache im Zuhause oder in der Pflegeeinrichtung des Antragstellers. Unangekündigte Besuche finden nicht statt. Ideal wäre die Anwesenheit von Familienangehörigen oder Betreuern beim Termin, um ein umfassendes Bild der Selbstständigkeit des Antragstellers zu erhalten. In bestimmten Fällen und mit Einverständnis der zu begutachtenden Person kann die Bewertung auch telefonisch erfolgen, die Bedingungen hierfür sind in den Begutachtungsrichtlinien festgelegt. Eine telefonische Begutachtung ist allerdings nicht möglich bei:

  • Erstbegutachtungen, um Pflegebedürftigkeit und Pflegegrad zu klären,
  • Untersuchungen aufgrund eines Widerspruchs gegen eine bereits getroffene Entscheidung der Pflegekasse,
  • Prüfungen der Pflegebedürftigkeit bei Kindern unter 14 Jahren,
  • Fehlen einer benötigten Unterstützungsperson bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren.

Das Begutachtungsinstrument berücksichtigt die individuelle Situation und fragt danach, was der Betroffene selbst leisten kann, welche Fähigkeiten vorhanden sind und bei welchen Tätigkeiten Unterstützung benötigt wird. Der Begriff der Pflegebedürftigkeit konzentriert sich auf Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit, unabhängig von deren Ursachen. Im Mittelpunkt stehen der Mensch und sein Alltag.

Die Bewertung der Selbstständigkeit und Pflegebedürftigkeit berücksichtigt sechs Lebensbereiche:

  • Modul 1 "Mobilität": Fragen nach der Bewegungsfähigkeit, zum Beispiel vom Bett ins Badezimmer gehen oder Treppensteigen.
  • Modul 2 "Geistige und kommunikative Fähigkeiten": Beurteilt werden Zeit- und Ortsorientierung, das Verständnis für Sachverhalte und die Fähigkeit zur Kommunikation.
  • Modul 3 "Verhaltensweisen und psychische Problemlagen": Berücksichtigt werden Aspekte wie nächtliche Unruhe oder Abwehrreaktionen bei Pflegemaßnahmen.
  • Modul 4 "Selbstversorgung": Bewertet wird die eigenständige Bewältigung der Körperhygiene, Ernährung und Toilettennutzung.
  • Modul 5 "Selbstständiger Umgang mit krankheitsbedingten Anforderungen und Belastungen“: Überprüft wird, ob die Person z.B. Medikamente selbst einnehmen kann.
  • Modul 6 "Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte": Geprüft wird, ob die Person ihren Tagesablauf selbst gestalten und soziale Kontakte pflegen kann.

Für jedes Kriterium vergeben die Gutachter Punkte, um den Grad der Selbstständigkeit bzw. Beeinträchtigungen zu bestimmen. Diese fließen dann in die Bestimmung eines der fünf Pflegegrade ein.

Des Weiteren bewerten die Gutachter die Fähigkeit zur außerhäuslichen Aktivitäten und Haushaltsführung. Diese Informationen unterstützen die Pflegeberatung bei der Erstellung eines Versorgungsplans und sind für die Pflegeplanung nützlich.

Außerdem wird geprüft, ob eine Indikation für Rehabilitationsleistungen besteht, um die Pflegebedürftigkeit zu verzögern oder zu verhindern. Der Gutachter teilt seine Einschätzung der Pflegekasse mit, die dem Antragsteller die Empfehlung zur Prävention oder Rehabilitation zusammen mit der Entscheidung über die Pflegebedürftigkeit zukommen lässt.

Ermittlung der Pflegebedürftigkeit bei Kindern

Die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit von Kindern erfolgt vorrangig durch speziell ausgebildete Expertinnen und Experten mit einer Qualifikation in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege oder als Kinderärztinnen und -ärzte. Dabei wird der Pflegegrad durch einen Vergleich der individuellen Selbstständigkeit oder Fähigkeiten des Kindes mit denen gleichaltriger gesund entwickelter Kinder festgelegt.

Ein spezielles Verfahren gibt es für die Bewertung bei Kindern bis zu 18 Monaten, da diese in ihrem Alltagsleben natürlicherweise von Hilfe abhängig sind. In solchen Fällen fließen insbesondere die Bereiche „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“ und der „Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen“ in die Beurteilung ein. Zusätzlich wird überprüft, ob es bei der Nahrungsaufnahme zu gravierenden Problemen kommt, die eine außergewöhnlich intensive Unterstützung notwendig machen.

Für Kinder unter 14 Jahren ist eine telefonische Begutachtung ausgeschlossen. Bei Jugendlichen, die älter als 14, aber noch keine 18 Jahre sind, ist eine telefonische Begutachtung nur möglich, wenn eine unterstützende Person anwesend ist.

Pflegegrade

Die fünf Pflegegrade reichen von geringfügigen Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeiten (Pflegegrad 1) bis hin zu schwersten Beeinträchtigungen, die eine spezielle pflegerische Unterstützung erforderlich machen (Pflegegrad 5). Wird ein Ergebnis unter 12,5 Punkten erreicht, wird aus pflegewissenschaftlicher Perspektive keine Pflegebedürftigkeit anerkannt. Für besondere Fälle, die einen deutlich erhöhten Unterstützungsbedarf aufzeigen, ist die Einstufung in Pflegegrad 5 möglich, selbst wenn die erforderliche Punktzahl von 90 nicht erreicht wird. Die genaueren Bedingungen für diese speziellen Situationen werden in den Richtlinien zur Begutachtung detailliert erläutert.

Bescheid über Leistungen

Die Entscheidungen der Pflegekasse zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit sollen für die Versicherten klar und nachvollziehbar sein. Das Gutachten wird daher standardmäßig vom Antragsteller erhalten, es sei denn, er spricht sich explizit dagegen aus. Zusätzlich erhält der Versicherte spezielle Empfehlungen zu Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen sowie Informationen zum Antragsverfahren für entsprechende Leistungen, falls gewünscht.

Dienstleistungsorientierung im Begutachtungsverfahren

Die seit Juli 2013 verbindlichen Richtlinien zur Dienstleistungsorientierung im Begutachtungsverfahren garantieren Transparenz und einen serviceorientierten Umgang. Sie beinhalten Verhaltensregeln für Gutachter, Informationspflichten gegenüber den Versicherten, einschließlich diverser Übersetzungen, Umfragen unter Versicherten sowie ein Beschwerdemanagement.

Checkliste für den Erstantrag auf Pflegeleistungen

  • Nehmen Sie Kontakt zu Ihrer Kranken- oder Pflegekasse oder einem lokalen Pflegestützpunkt auf. Dies können auch Verwandte oder Bekannte für Sie übernehmen.
  • Informieren Sie sich online oder direkt bei der Pflegekasse über Leistungen und Kosten von Pflegeeinrichtungen sowie über anerkannte Alltagshilfen.
  • Sie haben ein Recht auf eine frühzeitige, umfangreiche Beratung durch die Pflegeberater Ihrer Pflegekasse. Dies gilt auch für Angehörige oder ehrenamtliche Pflegepersonen.
  • Nach Antragstellung auf Pflegeleistungen bietet Ihnen die Pflegekasse zeitnah einen Beratungstermin an, der innerhalb von zwei Wochen stattfinden soll.
  • Die Pflegekasse weist Ihnen eine persönliche Beratungsperson zu oder gibt Ihnen einen Gutschein für eine unabhängige Beratung.

Fazit

Auf Wunsch findet die Beratung auch bei Ihnen zu Hause statt und kann durch digitale Angebote ergänzt werden. Pflegestützpunkte in Ihrer Region stehen ebenfalls beratend zur Seite. Die Privatversicherung bietet über "COMPASS Private Pflegeberatung" eine persönliche Beratung zu Hause oder in der Pflegeeinrichtung an.

Nach Beantragung von Pflegeleistungen erfolgt die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst oder andere unabhängige Experten, um Ihren Pflegebedarf festzustellen. Es ist sinnvoll, eine Pflegeperson bei der Begutachtung dabeizuhaben.

Überlegen Sie, ob eine Pflege zu Hause durch Angehörige machbar ist oder ob Sie die Dienste eines ambulanten Pflegedienstes in Anspruch nehmen möchten. Bei Bedarf können Sie sich über vollstationäre Pflegeeinrichtungen informieren und beraten lassen.

Für individuelle Beratung und Unterstützung stehen die Pflegeberater Ihrer Pflegekasse und die Mitarbeiter der Pflegestützpunkte zur Verfügung. Weitere Informationen bietet das Bürgertelefon des Bundesministeriums für Gesundheit. Nehmen Sie mit uns Kontakt auf, wenn Sie Hilfe benötigen.

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